La Rochefoucauld auf der Suche nach dem selbstbestimmten Geschmack



Unter den französischen Moralisten stellt La Rochefoucauld am entschiedensten die Wahrheitsfrage. Dabei steht nicht nur die wahre Tugend auf dem Prüfstand, sondern auch die Wahrheitsbefähigung der Urteilskraft und des Geschmacks. Im Rekurs auf die zeitgenössischen Ansätze einer Ästhetik gibt die Studie Einblick in das differenzierte Geflecht der vom Moralisten vorgestellten Geschmacks-Varianten: vom kapriziösen und konventionellen Geschmack bis hin zum guten und – diesem transzendental vorgelagert – wahren Geschmack. Gerade die Präferenz dieses Letzteren lässt sich als Antizipation der Kantischen Forderung nach Geschmacks-Autonomie deuten. Das Postulat eines selbstbestimmten und zugleich sicheren Geschmacks mag angesichts der pessimistischen Anthropologie des Moralisten ans Utopische grenzen. Doch im honnête homme, dem Prototyp harmonischer Innensteuerung und gesellschaftlicher Verbindlichkeit, konkretisiert sich die Suche nach einer Selbstreferenz, welche die Eigenliebe und deren Drang, sich aller Dinge zu bemächtigen, transzendiert.

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Volker Kapp in: Dix-septième siècle, 2013-4, 745

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Jutta Weiser in: Romanische Forschungen, 125 (2013), Heft 4, 603ff